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LitInvolve: Geringe Literalität als Herausforderung in der Empirischen Sozialforschung

Die Studie LitInvolve zielt darauf ab, ein bisher unsystematisches und diffuses Bild von Verständnisschwierigkeiten zwischen Befragenden und Befragten im Rahmen der empirischen Sozialforschung zu klären. Konkret geht es um die Frage, wie dieses Problem mit einem Modell der Literalität systematisch erfasst werden kann und darauf aufbauend Kriterien für die Instrumentenentwicklung in der quantitativen und der qualitativen Forschung entwickelt werden können, die es ermöglicht, breite Bevölkerungskreise in Befragungen einschließen zu können.
Laufzeit: 01.04.2023-31.12.2023

Call for Contributions

Unter dem folgenden Link finden Sie den Call for Contributions für ein Herausgeberwerk des Projektes LitInvolve, das sich mit geringer Literalität in der empirischen Sozialforschung beschäftigt.

Warum sollte sich Empirische Sozialforschung mit geringer Literalität auseinandersetzen?

Warum sollte sich Empirische Sozialforschung mit geringer Literalität auseinandersetzen?

Die Aussagekraft empirischer Daten der Sozialforschung ist u.a. davon abhängig, ob repräsentative Querschnitte der Bevölkerung erreicht werden und ob ausreichend Verständnis für Fragen und Fragekontexte bei Befragungsteilnehmenden vorliegen. Zu den allgemeinen Qualitätskriterien empirischer Sozialforschung gehört es, dass sowohl Befragungstexte und -sprache sowie Settings für die verschiedenen Untersuchungsteilnehmenden verstehbar sind. Dabei entstehende Probleme werden ganz unterschiedlich gedeutet - als Sprachbarrieren, Desinteresse oder Überforderung, die auf Migration, Milieudisparitäten oder auch fehlende Lese-Schreibkompetenzen zurückgeführt werden. 
Unser Interesse ist es, dieses bisher unsystematisch und diffuse Bild von Verständnisschwierigkeiten zwischen Befragenden und Befragten im Rahmen der empirischen Sozialforschung zu klären. Konkret geht es um die Frage, wie dieses Problem mit einem Modell der Literalität systematisch erfasst werden kann und darauf aufbauend Kriterien für die Instrumentenentwicklung in der quantitativen und der qualitativen Forschung entwickelt werden können.

Ausgangssituation

Ausgangssituation

Die Grundlagenforschung in der Empirischen Sozialforschung beschäftigt sich mit der Ausdifferenzierung unterschiedlicher Instrumentarien, d.h. Erhebungs- und Auswertungsmethoden der quantitativen wie auch qualitativen Sozialforschung, sowohl auf einer thematischen als auch einer zielgruppenorientierten Ebene. Die Einbeziehung von Menschen mit geringer Literalität in Grundüberlegungen zur empirischen Sozialforschung erfolgt derzeit noch sehr vereinzelt und wenig systematisch. Dies ist u.a. auch auf die Komplexität des Themas zurückzuführen. Denn: geringe Literalität kann nicht als Definitionsmerkmal einer spezifischen sozialen Gruppe aufgefasst werden, sondern  muss vielmehr in der Kombination von „Kompetenz“ und „Praktiken“ als Indikator für Verstehen, Deuten und Handeln in sozialen Situationen – z.B. die Teilnahme an einer Befragung der empirischen Sozialforschung – gesehen werden. Literalität als Grundkompetenz des Verstehens, Deutens und Handelns in sozialen Situationen beeinflusst wesentlich die basisdemokratischen Möglichkeiten von Menschen, zu denen gerade auch die Partizipation an meinungsbildenden Prozessen wie Umfragen, Interviews und Diskussionen gehört. Literalität kann dabei auf drei unterschiedlichen Ebenen analysiert werden: so umfasst die 1. Ebene das Buchstaben-, Wort- und Textverstehen, während die 2. Ebene das Situationsverstehen adressiert und die 3. Ebene das sinnvoll und verantwortungsvoll abgeleitete Handeln in den Blick nimmt. Übertragen auf die Empirische Sozialforschung bedeutet dies: Fähigkeiten auf diesen drei Ebenen sind notwendig für die schriftsprachliche Interpretationsfähigkeit, die Kontextualisierung von Fragen sowie den Transfer von Fragen auf eigene Lebensbereiche. Diese Aspekte stellen sich für Menschen mit geringer Literalität als schwierig dar. Hieraus ergeben sich für die empirische Sozialforschung unterschiedliche Implikationen, da die beiden Stränge der empirischen Sozialforschung mit unterschiedlichen Prämissen operieren: während das Ziel der quantitativen Sozialforschung meist das Generieren repräsentativer, empirischer Daten ist, legt die qualitative Sozialforschung Wert auf eine Rekonstruktion tieferliegender Meinungen und Einstellungen. 
Dementsprechend spielt für die quantitative Sozialforschung vor allem das Wort- und Textverstehen der Ebene 1 (z.B. das Lesen eines Fragebogens) wie auch das Situationsverstehen der Ebene 2 (z.B. durch die Fähigkeit, sich in Vignetten und vorgegebene Situationsanalysen innerhalb eines Fragebogens hineindenken zu können) eine große Rolle. Bei der qualitativen Sozialforschung, also beispielsweise in Interview- oder Gruppendiskussionskontexten, wird sehr viel stärker die Ebene 3, also die Rekonstruktion des eigenen Handelns oder das Verständnis für das Handeln anderer Menschen in den Blick genommen.

Zielsetzung von LitInvolve

Zielsetzung von LitInvolve

Das Projekt LitInvolve bearbeitet die Adressierbarkeit gering literalisierter Menschen im Rahmen der empirischen Sozialforschung. LitInvolve untersucht die Repräsentanz gering literalisierter Personen in der empirischen Sozialforschung mit dem Ziel, forschungsstrukturelle Mechanismen sozialer Ungleichheit und Inklusion/Exklusion aufzudecken. Dies hilft, eine Reproduktion derselben in und durch die Forschung zu verhindern. Die Grundlagenforschung von LitInvolve fokussiert die Forschungsbereiche, die mit Fragestellungen der Ungleichheit und Teilhabe befasst sind, die Bildungsforschung, Arbeitsmarktforschung, Familienforschung oder Ungleichheitsforschung. Diese sind besonders daran interessiert bei ihren Befragungen einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung zu erreichen oder – für den Bereich der qualitativen Sozialforschung – vertiefte Einblicke in die Lebenslagen verschiedener schwer erreichter, u.a. sozial benachteiligter Personengruppen zu erlangen. Das Wissen aus der Kommunikation mit Menschen mit geringer Literalität sowie deren Feldwissen wird in den Forschungsprozess einbezogen, um geringe Literalität als Beteiligungsbarriere in der empirischen Sozialforschung – unter besonderer Beachtung damit einhergehender sozialer Benachteiligung – zu verstehen und zu bestimmen. Dies ermöglicht eine grundlegende Qualitätssteigerung im Design empirischer Forschungsmethoden. Das Projekt schließt eine Forschungslücke, indem es den Umgang der Empirischen Sozialforschung mit dem Phänomen geringer Literalität im Sinne von „reading culture“ als ein dreistufiges Modell von Literalität konzeptualisiert und systematisch untersucht. Neben einem übergreifenden und verallgemeinerbaren Konzept zur Berücksichtigung von Menschen mit geringer Literalität in der Empirischen Sozialforschung sollen für den qualitativen wie auch den quantitativen Sozialforschungsstrang darüber hinaus spezifische Handlungsempfehlungen zur besseren Berücksichtigung gering literalisierter Menschen beim Methodendesign, der Durchführung und der Auswertung von Forschungsprojekten entstehen. Die Bedarfe der einzelnen Forschungsbereiche (Bildungs-, Familien-, Ungleichheits- und Arbeitsmarktforschung) werden in diesen Handlungsempfehlungen geclustert und weiterführende Forschungsbedarfe identifiziert. Das Projekt ist orientiert an den UN-Nachhaltigkeitszielen des Abbaus sozialer Ungleichheit und der Inklusion. In Zielstellung 10 geht es darum, die Partizipation aller Menschen an demokratischen Prozessen zu ermöglichen und zu respektieren. Eine nachhaltige Gesellschaft ist angewiesen auf kompetente Menschen und auf Kommunikationsprozesse, die niemanden exkludieren und keines Menschen Ressourcen geringschätzen. Im UN-Nachhaltigkeitsziel 4 „Hochwertige Bildung“ heißt es dementsprechend: „Bildung für nachhaltige Entwicklung soll die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigen.“  

Kontakt

Kontakt

Projektleitung:

Prof. Dr. Nina Weimann-Sandig, nina.weimann-sandig@ehs-dresden.de

Teilprojektleitung: 

Johanna Schneider, johanna.schneider@ehs-dresden.de 

Projektmitarbeitende:

Götz Schneiderat, goetz.schneiderat@ehs-dresden.de 

Jan Schuhr, jan.schuhr@ehs-dresden.de 

Martin Möhring, martin.moehring@ehs-dresden.de

Prof. em. Dr. Harald Wagner, harald.wagner@ehs-dresden.de 

Förderhinweis

Das Forschungsvorhaben LitInvolve wird vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus gefördert.