Juni 2025: Gesprächsforum „Vom 17. Juni zur belarussischen Tragödie: Warum Geschichte uns zum Handeln verpflichtet“
Stimmen des Widerstands: Begegnung von Zeitzeugen aus DDR und Belarus
Am 17. Juni 2025, dem Jahrestag des Volksaufstands in der DDR, kamen in der Evangelischen Hochschule Dresden DDR-Bürgerrechtler und Oppositionelle aus Belarus ins Gespräch. Zu Gast war auch die Journalistin Kseniya Lutskina, die im August vergangenen Jahres nach vier Jahren Haft in Belarus entlassen wurde. Lutskina, ehemalige Mitarbeiterin des Belarussischen Staatsfernsehens, war 2020 während der Massenproteste gegen Langzeitpräsident Lukaschenka verhaftet worden, bevor sie mit Kollegen einen alternativen Fernsehsender gründen konnte. Der offizielle Vorwurf: Steuerhinterziehung in besonders schwerem Ausmaß. „Sie hätten mir alles anhängen können“, sagte Kseniya Lutskina in Dresden über ihre Anklage.
Zu Beginn hätte das Gefängnispersonal sie wie jede andere Insassin behandelt: „Wichtig ist, man selbst zu bleiben, damit sie erkennen, dass wir Menschen sind. Keine Mörder und Verbrecher. Als Journalistin des Staatsfernsehens war ich ein Mensch aus dem System. Die Wärter hätten an meiner Stelle sein können.“ Sie vermutete, dass die große Zahl an politischen Häftlingen die belarussischen Gefängnisse verändern werde. Mit der Zeit hätten die Wärterinnen Mitgefühl gezeigt oder sich bei den Gefangenen entschuldigt. „Sie haben begonnen, selbst zu denken und verstanden, dass wir schuldlos in Haft sind.“ In Belarus herrsche Angst, und diese halte das Staatswesen zusammen. Sie appellierte, die Angst abzulegen und an den Zielen der Opposition für ein demokratisches Belarus festzuhalten. „Wenn wir jetzt aufhören, entwerten wir, was wir bereits geschafft haben“, so Lutskina.
Geschichte als Kompass: Was Belarus von der DDR lernen kann
Moderator Stephan Bickhardt, Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen und DDR-Bürgerrechtler, fragte Lutskina, ob die Friedliche Revolution für die belarussische Opposition ein Vorbild sein könne. Lutskina erwiderte, dass sie überzeugt sei, dass sich die Menschen in Belarus einmal viel verzeihen müssten. Dafür sei es wichtig, die Friedliche Revolution in der DDR genau zu analysieren, um daraus zu lernen. Da die stalinistische Zeit in Belarus nicht aufgearbeitet worden sei, wiederhole sich nun die Geschichte.
Markus Meckel, DDR-Bürgerrechtler und letzter Außenminister der DDR, engagiert sich für die Demokratiebewegung in Belarus. Er war auch beteiligt daran, dass Kseniya Lutskina nach Deutschland ausreisen konnte. Seit wenigen Monaten lebt sie mit ihrem jugendlichen Sohn in Berlin. Meckel blickte auf die ersten Jahre Lukaschenkas als Präsident von Belarus zurück und stellte die Frage: „Wie geht man um mit einem Land, das immer autoritärer wird, wo aber die Zivilgesellschaft immer aktiver wird?“ Dass Europa sich damals entschieden hatte, zivilgesellschaftliche Initiativen zu fördern, bewertete er als richtig. „Wir können Demokratie nicht exportieren. Wir müssen demokratische Kräfte im Land unterstützen.“ Den Erfolg dieser Förderung habe man 2020 sehen können. „Es gibt eine starke Zivilgesellschaft in Belarus!“, so Meckel.
Die Historikerin Dr. Iryna Kashtalian, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte Buchenwald, ist 2021 nach Deutschland geflüchtet. Sie war bereits 1996, also kurz nach Aljaksandr Lukaschenkas Wahl, ins Visier des Systems geraten und verhaftet worden. Sie ordnete in Dresden die landesweiten Demonstrationen im Jahr 2021 in Belarus als herausragendes historisches Ereignis ein. Trotzdem sei die Zukunft von Belarus in einer zunehmend unstabilen Welt mehr als ungewiss. Sie fragte, ob es für Belarus angesichts des Handelns Russlands in der Ukraine überhaupt die Chance gegeben hätte, sich aus dem Griff Lukaschenkas und seines Unterstützers Putin zu befreien. Mit Blick auf den Jahrestag des Volksaufstands in der DDR sagte sie: „Für Deutschland gehört die Diktatur und Repression der Vergangenheit an. Für uns ist sie die Gegenwart.“
Solidarität leben: Unterstützung für politische Gefangene in Belarus
Ina Rumiantseva, die sich von Berlin aus für politische Gefangene in Belarus einsetzt, lenkte am Ende des Gesprächsforums den Blick darauf, wie den Menschen in Belarus aus dem Ausland geholfen werden könnte. Entscheidend sei, wie die Europäische Union sich gegenüber Belarus verhalte: „Ist Belarus ein Teil von Europa oder bereits abgeschrieben? Ich denke, derzeit wird es nicht mitgedacht.“ Rumiantseva hat mit Verbündeten ein Manifest initiiert, das von führenden Menschenrechtsorganisationen und ehemaligen Gefangenen unterschrieben wurde. Darin werden humanitäre Verhandlungen gefordert. Die EU solle sich nicht darauf beschränken, Lukaschenka zu verurteilen. Jeder Einzelne könne helfen, indem er Informationen über Belarus und die Menschenrechtsverletzungen im Land teile oder Abgeordnete darauf anspreche. So könne die große Politik von unten in Bewegung gebracht werden. Das unterstrich Kseniya Lutskina: „Je weniger man weiß, desto besser geht es dem System Lukaschenka.“
Akademiedirektor Bickhardt erinnerte zum Schluss daran, welche bedeutenden Schriften in Gefängnissen geschrieben wurden. Beispiele sind der Apostel Paulus, Dietrich Bonhoeffer oder Václav Havel. Auch Maxim Znak, der führende belarussische Oppositionelle, der weiterhin in einem Straflager festgehalten wird und zu dem seit vielen Monaten kein Kontakt besteht, hat in Haft das Buch „Zekamerone“ verfasst, das ins Deutsche übertragen wurde.
Seine Schwester Iryna Kozikava hat ihren Schmerz und die Erinnerungen an ihren Bruder in Kunstwerken verarbeitet, die noch bis zum 31. Juli 2025 in der Evangelischen Hochschule Dresden besichtigt werden können.
Mit dem Gesprächsforum am 17. Juni endete die dreiteilige Reihe über „Europas unsichtbare Gefangene“ in Belarus, die von der Evangelischen Akademie Sachsen und der Evangelischen Hochschule Dresden organisiert wurde. Nicht enden darf das Engagement für Menschen, die im Gefängnis sitzen, weil sie friedlich für ihre politischen Überzeugungen eingetreten sind.
Mehr Informationen: https://razam.de/