Erfahrungsbericht meines einjährigen ERASMUS-Aufenthaltes in Südtirol/Italien
Nachdem ich während der ersten Monate an der Evangelischen Hochschule Dresden meine Freundin kennenlernte, war für mich klar, dass ich einen Teil meines Studiums in ihrer Heimat absolvieren würde. Die Entscheidung dafür traf ich bereits zwei Monate nach Beginn des Studiums und bewarb mich für einen der beiden Erasmusplätze an der Freien Universität Bozen. Die Zusage über mein Auslandssemester in Italien bekam ich dann relativ schnell. Gemeinsam mit meiner Freundin besuchte ich in den ersten Semesterferien meine zukünftige Wahlheimat um eine Idee zu bekommen, worauf ich mich eigentlich eingelassen hatte. Während dieses Aufenthaltes besuchte ich das „International Relations Office“ der Universität Bozen und versorgte mich mit allen erdenklichen Informationen über Universität, Module, Anmeldeformalitäten und Hinweise zu dem Universitätshauptsitz in Bozen sowie dem Standort der Fakultät für Bildungswissenschaften in Brixen. Während des zweiten Semesters in Dresden wählte ich dann mithilfe der FUB-Studienmanifeste für Sozialpädagogik und Soziale Arbeit die Module für das dritte Semester im Ausland aus, wobei ich versuchte, zusätzliche Informationen über die Internetpräsenz zu erhalten, was zum damaligen Zeitpunkt schwer möglich war, weil die Online-Informationen meines Erachtens recht unstrukturiert bis nicht vorhanden waren. Dieser Umstand schwächte meine Vorfreude etwas ab und ließ mich an meiner Entscheidung zweifeln, ob ich diesen Aufenthalt in meinem Studium in Deutschland überhaupt integrieren können würde. Die Ansprechpersonen im Auslandsamt meiner Heimathochschule sowie meine Freundin beruhigten mich und sicherten mir volle Unterstützung bei eventuellen Problemen zu, was mir Sicherheit und Zuversicht bezüglich meiner Auslandserfahrung gab. Als ich dann Ende August nach Südtirol reiste, war noch ein ganzer Monat Zeit bis zum Semesterbeginn. Ich nutzte die Zeit um die Städte und die umliegende Bergwelt ein wenig kennenzulernen. Ich meldete mich bei der Universität an und stellte beim Besuch der Fakultät in Brixen fest, dass die Hälfte meiner gewählten Module nicht im Wintersemester stattfinden würden, weshalb ich das LearningAgreement ändern und neue Kurse wählen musste. Im Nachhinein betrachtet, empfehle ich zukünftigen Erasmus-Student_innen, sich rechtzeitig über angebotene Module zu informieren (Sommer- oder Wintersemester). Während des gesamten Jahresaufenthaltes in Italien wohnten meine Freundin und ich in einer Wohnung ihrer Eltern bei Meran, von wo aus man aber mit dem Zug 40 Minuten nach Bozen und 1,2 Stunden nach Brixen benötigt. Ich beantragte die Eintragung als zeitweilig Ansässiger in Marling, holte mir eine Steuernummer (codice fiscale) sowie das Studentenabonement (Abo+) und eröffnete ein Studentenkonto bei der regionalen Sparkasse, wobei ich für alle diese Dinge eine amtliche Bestätigung der Universität benötigte. Für fast alle amtlichen Bescheinigungen bezahlt man in Italien mit zwei Stempelmarken zu jeweils ca. 15 €. Anstatt einen der vor dem Semester stattfindenden EILC zu besuchen, nahm ich an 2 Italienischkursen in Bozen teil, die vom universitätseigenen Sprachzentrum kostenlos für ERASMUS-Studierende angeboten wurden, da ich vor meinem ERASMUS-Aufenthalt kein Wort Italienisch sprach. Das war für die bereits genannten Amtsgänge kein Hindernis, weil in Südtirol in allen öffentlichen Stellen ebenfalls Deutsch gesprochen wird. Auch die Kurse, welche ich besuchte, waren zu 95 % in deutscher Sprache, wobei einige Anteile in Italienisch gehalten wurden, da die „Klassen“ der Studierenden aus beiden Sprachgruppen bestehen. Die Dozent_innen und Vorlesungen waren zum Teil sehr interessant, aber aus meiner Perspektive waren die Hälfte der Module nicht mit dem Anspruch meiner Heimathochschule vergleichbar, wobei mir die Unzufriedenheit einiger anderer Studierenden aus Südtirol über das Niveau der Inhalte meinen Eindruck bestätigte. Dem gegenüber erlebte ich die andere Hälfte der Module als sehr interessant, fordernd und pädagogisch sehr gut gestaltet. Die Vorlesungszeiten begannen gegen 9.00 Uhr und waren in der Regel gegen 17 Uhr zu Ende. Die Sprachkurse sind somit fast problemlos zu besuchen, da sie meist gegen 18 Uhr in Bozen stattfinden, wo die meisten der ERASMUS-Studierenden in universitätseigenen Wohnheimen untergebracht sind. Zudem verfügt die Fakultät in Brixen über eine sehr umfangreiche und ausgezeichnete Bibliothek im Bereich Sozial- und Bildungswissenschaften, freien Internetzugang im ganzen Gebäude sowie eine gute Mensa, alles nutzbar mit der Unicard der FUB. Mein wöchentlicher Alltag bestand aus 2 Tagen von 9.00 Uhr bis 16.00 Uhr sowie 2 Tagen von 9.00 Uhr bis 20.00 Uhr in der Universität und einem Tag zu Hause für das Eigenstudium. An den Wochenenden erkundete ich mit meiner Freundin und ihren Freund_innen die ständig präsente Natur, ob durch Wanderungen, Wintersport, einfache Ausflüge oder mehrtägige Bergtouren. Das typische Student_innenleben findet in Südtirol wenn überhaupt in Bozen statt, da außerhalb der Städte die Wege und Anbindungen abendliche Kneipentouren oder Clubbesuche kaum zulassen. Daher verbrachte ich viel Zeit mit meiner Freundin in ihrer Wohnung oder bei Freund_innen zu Hause. Überhaupt sind die generellen alltäglichen Kosten, nicht nur für Freizeit, an Dresden gemessen relativ hoch und so war ich ganz glücklich, dass mein Möglichkeitenradius durch unseren Wohnort automatisch begrenzt war. Während des zweiten Semesters, meinem Praktikumssemester, hatte ich mehrfach die Möglichkeit, das Land Italien zu bereisen und nutze diese für eine einwöchige Reise nach Genua und Venedig, sowie für eine einwöchige Hochtour durch die Texelgruppe bei Meran.
Abschließend betrachte ich diese einjährige Erfahrung als Zugewinn für mich und mein Studium, wobei das schönste Erlebnis das Kennenlernen verschiedener Kulturen und Sprachen an der Universität, im Freund_innenkreis meiner Freundin sowie in der Einrichtung meines Praxissemesters war. Demgegenüber betrachte ich verschiedene Rückschläge für die Klienten meiner Praktikumseinrichtung als negativ, weil die Ursachen dafür im Rechtssystem Italiens und den gesellschaftlichen Bedingungen verankert liegen.
Wieland Köhler