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Erfahrungsbericht von Lea Krusche

September 2014. Erstes Observationspraktikum in einer reformpädagogischen Einrichtung

Tabea und ich wurden mit sechs anderen Studierenden an eine tolle Einrichtung verwiesen, die ein bisschen nach Reggio, Movimento Escola Moderna und Highscope arbeitet. Im Grunde also eine reformpädagogische Einrichtung, in der wir uns sehr wohlgefühlt haben, weil sie sehr unseren Ansätzen und Ideen entsprach. Wir stellten uns als Lia und Bia einer Gruppe von 25 Vierjährigen, einer Educadora und einer sogenannten Auxiliar, Hilfskraft, vor. Die kommenden Tage waren wir von 9 bis 17 Uhr dort. Wir versuchten so gut wir konnten, mitzusingen, mitzubasteln, mitzureden. Und unser Portugiesisch beim Vorlesen zu verbessern. Jetzt weiß ich schon, dass Branca de Neve das Schneewittchen ist, die Zwerge anõezinhos sind und man in einer brenzligen Situation am besten mit „Socorro!“ um Hilfe ruft! Ich merke immer wieder, dass es ein toller Weg ist, mit Kindern eine Sprache zu lernen. Es war bemerkenswert, dass trotz der kleinen Sprachbarriere ein Miteinander so gut möglich war. Die Kinder haben sich schnell gemerkt, dass wir aus Alemanha sind. Ganz erstaunt sagte ein kleiner Pedro: Aber sie reden ja Portugiesisch! Irgendwie ging es mit den Vokabeln, die mir vertraut waren. Das Verstehen klappt einwandfrei, ich verstehe gut, was die Intentionen des Gegenübers sind. Und ich merke auch, dass das Sprechen immer sicherer wird, wenn es eben so regelmäßig geübt wird. Und selbst die Grammatik, die ich im Sommersprachkurs gelernt habe, scheint sich immer besser festzusetzen. Es war wirklich schön in der Einrichtung. Am Freitag war ich wirklich tatsächlich ein bisschen traurig, dass die Tage des Observationspraktikums schon vorbei waren. Ein kleines Abschiedsgeschenk bekamen wir - und zwei von Kinderküssen angefeuchtete Wangen.

 

Januar 2015. Erster Praktikumsmonat im reformpädagogischen Kindergarten „Piloto Diese“

Zum Kindergarten kann ich laufen, es sind nur 15 Minuten. Dabei erlebe ich die Rush-Hour in meiner Parallelstraße. Viele Menschen kommen mir auf dem Weg entgegen, mit Aktentaschen, auf hohen Schuhen. Einige gönnen sich noch einen Café im Stehen, Andere stehen schon in großen Gruppen vor den vielen Bürogebäuden und lachen laut. Ich bahnte mir den Weg durch die Massen und kam an, am Infantário „Piloto Diese“, dem Kindergarten, in dem ich jetzt einen Monat lang tätig sein werde. Drei Tage die Woche. Nur für 4 Stunden pro Tag. Ein entspanntes Praktikum. Tabea und ich wurden auf verschiedene Gruppen aufgeteilt. Ich darf die Vorschulgruppe begleiten. Und ich staunte. Im Positiven und im Negativen. Vielleicht zuerst zum Negativen. Der Raum, in dem die 22 4-5-Jährigen den Tag verbringen, ist für mein Gefühl wahnsinnig beengend. Die vier Wände sind von unten bis oben zugehangen mit Plakaten, Regeltafeln, Zeichnungen, Bildern, Gebasteltem. Das Meiste ist völlig außerhalb des Blickfeldes der kleinen Menschen in ihren Kittelschürzen. Wirklich, alle tragen Schürzen. Auch die Erzieherinnen und Hilfskräfte. Tabea und ich wurden noch verschont. Der „Garten“ ist ein Wintergarten. Es riecht dort nach Schimmel, ein Plastikhaus ist aufgebaut, der Boden ist mit Schaumstoffmatten ausgelegt. Platz zum Rennen und Austoben gibt es nicht. Was mich aber begeisterte, war die Intensität, mit der die Gruppe Projektarbeit betreibt. Am Mittwoch begann, ausgehend von einer Urlaubserfahrung eines Mädchens, ein Projekt über die Azoren. Ich lernte viel - zum Beispiel, dass die zu Portugal gehörenden Azoren aus 9 Inseln bestehen, bis auf eine Insel haben alle schwarze Sandstrände. Und das kommt durch den Vulkanausbruch, der erst die Inselgruppe gebildet hat. Und es gibt zwei Arten von Steinen- die schweren, schwarzen Lavasteine und weiße, wirklich unfassbar leichte Steine, die aus dem erhärteten Lavaschaum entstehen - und die sogar auf dem Wasser schwimmen! Und ich staune, wie sensibel die Kinder untereinander und miteinander sind. Ich staune über die strengen Rituale und Tagesrhythmen, die den Tag strukturieren und sehr übersichtlich machen. Ich bin begeistert von der Demokratie und Reflexion, die mit den Kindern früh gelebt wird. Das alles kann ich auf die Instrumente der modernen portugiesischen Reformbewegung MEM zurückführen, über die ich noch nicht viel weiß. Aber ich habe mir vorgenommen, mich damit in der kommenden Woche mal intensiver zu beschäftigen. Aber wenn ich jetzt ganz objektiv überschaue, welche Bereiche im Kindergarten vertieft werden, dann ist das nicht der Freispielbereich. Dafür ist räumlich einfach kein Platz vorgesehen. Und der straffe Zeitplan lässt es nicht zu. Dafür stehen eben die Bildungsbereiche, die ich schon im letzten Semester in der Uni als Kurse besucht habe, im Vordergrund: Mathe, Grammatik, angeleitete Sportstunden. Und da schließt sich der Kreis zur nun logisch erscheinenden Namensgebung des Studienganges. A Educação Pré-Escolar. Vor - Schule.

 

Januar 2015. Von Ausflügen und Verständigungsschwierigkeiten

Das lange Wochenende ist vorüber und morgen geht eine neue halbe Praktikumswoche los. Sie wird mit einem spannenden Ausflug beginnen: Wir fahren ins Museum! Die letzte Woche begann mit einem Ausflug in die Bibliothek am Campo Pequeno. Das schönste an diesem Ausflug war für mich die eine Haltestelle dauernde Fahrt mit der Metro. Es wurde wie ein Großevent aufgezogen. Schon eine Woche vor unserem Ausflug telefonierte die Erzieherin mit den Angestellten der Metro. Also erwarteten sie uns schon, drei Angestellte in Uniform, in Reih und Glied. Die aufgeregte Kindergartentruppe von ungefähr 20 Kindern verstummte in Ehrfurcht. Die Männer eskortierten uns, beantworteten geduldig die Fragen der Kinder und entwerteten die 20 kleinen grünen Metropässe, während wir einfach durch die für uns geöffneten Schranken spazieren durften. Sogar bis aufs Gleis begleitet sie uns, warteten mit uns und lockten dann sogar den Zugführer aus seiner Kabine heraus. Auch er begrüßte uns und fragte uns, an welcher Haltestelle wir aussteigen wollen. 20 kleine Stimmen erschallten durch die Halle „Campo Pequenooo“. Ich fand es bemerkenswert, wie aus dieser kurzen Fahrt so ein vernetzender Moment entstanden ist. Ich hatte den Eindruck, dass die Kinder mit diesem ganzen Engagement der Metroangestellten ein bisschen mehr mit der „großen“ Gesellschaft vernetzt wurden, mit einbezogen wurden. Es wurde ein Platz für sie eingeräumt. Und das mit der größten Ehrlichkeit. Ich konnte beobachten, dass alle in diesem kurzen Moment ihre Freude hatten. Kinder, Erzieher, Metroangestellte und Fahrgäste. Der Rest der Woche verlief weiterhin angenehm. Es gefällt mir mittlerweile wirklich gut. Es ist schon grundlegend anders, der Ansatz nach dem gearbeitet wird, als ich es in dem deutschen und auch französischen Kindergarten, in den ich Einblick gewinnen durfte, erlebte. Das hat mich letzte Woche noch sehr erschreckt oder vielmehr irritiert, aber mittlerweile kann ich auch den Wert dieses Konzeptes erkennen und gerate ziemlich ins Nachdenken - und das ist absolut positiv! Und mit den Kindern macht es so viel Spaß! Manchmal nutzen sie es schon ziemlich aus, dass die wirkliche Absicht meiner Worte bei ihnen nicht ankommt. Zum Beispiel haben sie beim Mittagessen meine Aussprache korrigiert, nachdem ich sie ermahnt habe, jetzt doch aber bitte die „senhora“ (Frau) zu essen, obwohl ich doch eigentlich die „cenoura“ (Möhre) meinte. In meinem Kopf sprach ich tatsächlich von der Möhre, aber es schien sich so angehört zu habe wie die senhora. Und so nehmen mich die Kinder manchmal nicht so ganz ernst. Aber dann lachen wir zusammen. Und dadurch entsteht sowas wie Bindung. Und das ist wunderbar.

 

Januar 2015. Von großen und kleinen Lernenden

Die kalten Tage neigen sich jetzt also dem Ende zu, und mit ihnen auch meine Praktikumstage. Unser Ausflug ins Museum in Belém war wirklich wunderschön. Der ganze Kindergartenbereich ist gefahren, insgesamt also 4 Gruppen. Wir haben eine kleine interaktive Führung bekommen und die vielen Farben auf den Gemälden bestaunt. Ein Moment, der mich in der letzten Woche besonders berührt hat, war, als die Mutter eines Mädchens aus meiner Gruppe mich morgens mit einer Umarmung begrüßte und mir erzählte, dass sie ein Buch mitgebracht hat, ein deutsches Feuerwehr-Kinderbuch. Sie bat mich, es ihrer Tochter vorzulesen. Daraus wurde dann sogar ein ganzer Tagespunkt für die ganze Gruppe. Ich saß am Nachmittag vor der gesamten Gruppe, las immer eine Seite auf Deutsch vor und versuchte dann, das Gelesene in (verständlichem) Portugiesisch für die Kinder wiederzugeben. Als die Sätze noch Tatütata, Feuerwehrmann und Feuerwehrauto beinhalteten, ging es noch ganz gut. Doch dann: „Viele Schläuche werden aus dem Löschwagen geholt.“ oder auch „Die Straße ist von einem umgestürzten Baum gesperrt! Schnell muss die Kettensäge geholt werden!“. Ich musste währenddessen innerlich ein bisschen über mich lachen. Ich glaube, mein Gestammel muss sich für Außenstehende (Portugiesen) zu lustig angehört haben. Aber ich war ganz überrascht, die Kinder hörten ungemein gebannt zu. Ich hätte eher vermutet, dass sie schnell das Interesse an der Geschichte verlieren würden, bei so einer unharmonischen Erzählweise. Aber mich guckten 20 kleine Augenpaare wie gebannt an. Da musste ich innerlich gleich wieder ein bisschen über mich lachen. Die deutsche Sprache muss für diese portugiesischen Ohren komisch klingen… aber vielleicht war es für die Kinder einfach wie eine sehr fremde Geheimsprache? Nichtsdestotrotz - am Ende bekam ich einen kleinen Applaus dafür!

Viel Applaus gab es auch an einem Nachmittag in dem kargen Aufenthaltsraum, in dem sie die Mittagspause verbringen sollen. Tabea und ich kamen nach unserer Mittagspause dorthin, weil unsere beiden Gruppen dort ihre Zeit absaßen. So wirkt es wirklich. Die Kinder sind sich selbst überlassen und sollen mit dem wenigen Plastikspielzeug dort etwas anfangen. Der Raum ist voll und es erschallt eine wirklich unangenehme Lautstärke. Wir setzen uns mit in den Raum. Schnell kam ein Mädchen an und kletterte auf meinen Schoß. Ich habe vor ein paar Tagen angefangen, ein bisschen mit ihnen zu singen, und habe die Fingerspiele, die ich im Waldorfkindergarten in Frankreich gelernt habe, hervorgeholt. Sie lieben es und können sogar schon mitsprechen! Dann begannen Tabea und ich, unsere liebsten Kinderlieder, von denen auch einige auf Portugiesisch sehr bekannt sind, zu singen. Das ging über in unsere liebsten Kirchenlieder. Bis wir dann in der Kategorie „Modernes“ landeten und einfach unsere Lieblingslieder vorsangen, „Streets of London“ war sehr beliebt. Die Mädchen hatten sich inzwischen auf unsere Beine gelegt und applaudierten nach jedem Lied. Sie hielten uns Mikrophone aus großen Legosteinen hin. Dann sangen sie uns ihre liebsten Lieder vor. Und dieses Konzert wurde dann sogar so populär, dass sich eine kleine Ein-Mann-Combo neben uns bildete und ein Junge auf einem Legostein die Gitarrenbegleitung machte.